Hinter den Kulissen beim SZ Gipfel mit Noxtua & IONOS
Beim SZ Wirtschaftsgipfel 2025 in Berlin diskutierte unser CEO & Co-Founder Dr. Leif-Nissen Lundbæk mit Dr. Andreas Nauerz, Executive Board Member & CPO von IONOS, moderiert von Jannis Brühl, Teamleiter Geld & Tech bei der Süddeutschen Zeitung, auf dem Panel zu KI in Europa. Unsere Chief Communications Officer Dr. Clara Herdeanu traf sich mit den Panelisten zu einem Gespräch hinter den Kulissen.

Clara Herdeanu: Warum spricht plötzlich jeder über digitale Souveränität und was bedeutet sie für KI?
Leif-Nissen Lundbæk:
Souveränitätsmarketing scheint das neue Greenwashing geworden zu sein – aber genau wie dort, ist es auch hier wichtig nachzufragen, was Souveränität eigentlich heißt. Im KI-Kontext bedeutet digitale Souveränität im Wesentlichen drei Dinge: Kontrolle über die Daten, über die Modelle und über die Infrastruktur. Wenn wir diese Kontrolle an außereuropäische Anbieter abgeben, gefährden wir Grundpfeiler unserer Demokratie – vom Datenschutz bis hin zu Berufsgeheimnissen.
Gerade im Rechtsbereich ist das ein existenzielles Thema. Das anwaltliche Berufsgeheimnis ist nur dann ein Geheimnis, wenn wir beweisen können, dass es eines bleibt. Das ist mit US-Infrastruktur rechtlich schlicht nicht möglich. Spätestens seit der Aussage des Microsoft-Chefjusitizars im Sommer wissen wir, dass selbst er unter Eid nicht garantieren konnte, dass europäische Daten nicht in die USA fließen. Das ist ein Fakt, kein politischer Spin.
Andreas Nauerz:
Digitale Souveränität bedeutet vor allem die gezielte Reduzierung von Abhängigkeiten gegenüber einzelnen Anbietern. Zentrales Element ist die Wechselfähigkeit: Organisationen sollten jederzeit flexibel und sicher den Anbieter wechseln können. Im Kern geht es um die volle Kontrolle über die eigene digitale Infrastruktur, die eigenen Daten und die technologischen Grundlagen, auf denen unsere Wirtschaft läuft.
Dabei ist Souveränität mehrdimensional.
Es geht um rechtliche Souveränität, also die Frage, ob Daten dem Zugriff fremder Rechtsordnungen unterliegen. Anbieter sollten deutschem bzw. europäischem Recht unterliegen. Andernfalls bleiben sie angreifbar für geopolitische Einflussnahmen oder Gesetze wie den US CLOUD Act. Wenn Behörden im Ausland intransparent auf Daten zugreifen können, ist das nicht souverän.
Zudem geht es um technische Souveränität, d.h. die Möglichkeit, kritische Hard- und Software-Stacks selbst weiterzuentwickeln und zu betreiben – auf Basis offener Standards und Schnittstellen, statt auf proprietären Plattformen, die faktisch von Drittstaaten kontrolliert werden.
Und letztlich geht es um über operative Souveränität: Die gesamte Kette – Planung, Deployment, Betrieb, Monitoring, Incident Response – muss lückenlos in europäischen Händen liegen. Wenn Betrieb oder Kundendaten am Ende doch in Drittstaaten landen, ist das nicht souverän.
Alle drei Bereiche sind entscheidend. Wer nur auf die Geografie des Rechenzentrums schaut, greift viel zu kurz. Entscheidend ist, ob auch die Kontrolle über die Rechenzentren in Europa liegt.
Warum braucht es für Europa eigene KI-Systeme und nicht einfach ein optimiertes ChatGPT?
Leif-Nissen Lundbæk:
Weil generische Modelle weder juristische Domänenlogiken verstehen noch die regulatorischen Anforderungen erfüllen. ChatGPT ist mit Daten aus dem offenen Internet trainiert – da ist alles dabei. Juristische Daten sind dabei nur ein sehr kleiner Teil, und wenn überhaupt welche enthalten sind, sind dies hauptsächlich juristische Daten aus dem US-amerikanischen Kontext. Das wirkt sich dann natürlich auch auf die Ergebnisse aus. Da kann man sogar fast schon von der Gefahr einer “Amerikanisierung” des Rechts sprechen. Ein weiterer entscheidender Punkt: ChatGPT ist schlichtweg nicht rechtskonform, da die Daten abfließen. Das schließt an den Punkt mit der europäischen Kontrolle an. Wir bauen deshalb ein stark auf den rechtlichen Kontext spezialisiertes, domänenspezifisches KI-System, was juristische Argumentationsweisen verstehen und gleichzeitig maximale Vertraulichkeit gewährleisten.
Ich denke, das ist eine demokratische Notwendigkeit und kein Luxus.
Andreas Nauerz:
Zudem sollte Europa nicht alles kopieren, was in den USA entsteht. Europa kann mehr als nur Copycat! Wir müssen KI gestalten und nicht nur benutzen!
Europas Stärke liegt im über Dekaden aufgebauten Domänenwissen, d.h. im tiefen und diversifiziertes Industrie-, Ingenieurs- und Prozesswissen in Feldern wie bspw. dem Automobilbau, Maschinenbau, Chemie, Energie, und Medizintechnik.
Dieses Wissen ist hochspezialisiert. Allgemeine Sprachmodelle können das nicht abbilden. Denn während viele US-Modelle überwiegend auf offenen Text- und Bilddaten trainiert sind, können wir in Europa – insbesondere Deutschland – riesige Mengen hochqualitativer Industriedaten (Sensordaten aus Produktionsanlagen, Qualitätsdaten, Betriebsdaten, Wartungsdaten, Prozessketten) nutzen. Das sind genau die Daten, auf denen industrielle KI ihren echten Mehrwert entfaltet.
Denn KI-Wertschöpfung in Europa heißt: KI nutzen, um Produkte schneller, effizienter und am Ende kostengünstiger zu produzieren und KI nutzen, um die Produkte selbst intelligenter und damit wettbewerbsfähiger zu machen. Der wirtschaftliche Hebel liegt nicht im nächsten Chatbot, sondern in der Optimierung einer Fabrik, die seit 20 Jahren läuft.
Daher brauchen wir kompakte, domänenspezifische und energieeffiziente Modelle –lauffähig auf kleineren „Edge-Geräten“ und Industriemaschinen – und damit integrierbar in Maschinen, Roboter, Fahrzeuge und Produktionslinien.
Das neue Spiel heißt Technologie-Konvergenz, denn die eigentliche Disruption entsteht nicht durch isolierte KI, sondern durch das Zusammenspiel von KI und autonomen Systemen wie bspw. der Robotik, sodass letztlich Roboter entstehen, die komplexe kognitive Aufgaben übernehmen können.
Die interessantesten KI-Anwendungen entstehen dort, wo Modelle tief in Produkte, Maschinen oder eben das Rechtssystem eingebettet sind. Und dafür braucht es europäisches Domänenwissen. Und natürlich gilt das alles nicht nur für Industriethemen, sondern analog auch für andere Felder, wie Leif am Beispiel „Recht“ erläutert hat.

IONOS und Noxtua arbeiten eng zusammen, im Herbst haben wir z.B. zusammen Deutschlands erste souveräne Legal AI Factory initiiert. Was macht die Partnerschaft so europäisch?
Andreas Nauerz:
Wir ergänzen uns hervorragend.
Noxtua bringt die Spezialisierung und die KI-Kompetenz, wir die europäische Cloud-Infrastruktur, vollständig in Deutschland gehostet und betrieben.
Gerade im juristischen Umfeld zeigt sich, wie wichtig diese Kombination ist: Wenn der Staat oder die Justiz KI nutzen sollen, dann muss die Infrastruktur technisch, rechtlich und operativ unangreifbar sein.
Leif-Nissen Lundbæk:
Partnerschaften sind im Grunde der europäische Weg. Wir verbinden europäische juristische Fachverlage, spezialisierte KI-Teams und souveräne Cloud-Infrastruktur. Ohne Partner wie IONOS als rein europäisches Cloud-Unternehmen könnten wir Systeme wie Beck-Noxtua oder MANZ-Noxtua gar nicht rechtskonform betreiben.
Und durch gemeinsame GPU-Beschaffung realisieren wir sogar einen Preisvorteil gegenüber US-Hyperscalern – souverän heißt also nicht „teurer“, im Gegenteil.
Oft geht es auch um Ängste: Roboter-Richter, KI-Entscheidungen über Leben und Tod. Wie real sind diese Befürchtungen?
Leif-Nissen Lundbæk:
Sie sind vor allem eines: Missverständnisse. Keiner von uns möchte, dass KI über Leben und Tod entscheidet und das wird sie in Europa auch nicht.
Aber wir haben ein anderes, sehr reales Problem: Wenn Gerichte durch Fachkräftemangel und ein riesiges Arbeitsaufkommen so überlastet sind, dass sie nicht einmal mehr entscheidungsfähig sind, ist das eine viel größere Gefahr für den Rechtsstaat. Der Staat muss leistungsfähig sein – auch und gerade in der Justiz. In dem Sinne ist eine erfolgreiche Digitalisierung auch wichtig, um das Vertrauen in den Rechtsstaat, in die Demokratie zu stärken. Das schließt auch an einen weiteren Punkt an: Und zwar, weshalb gerade im Rechtswesen digitale Souveränität so entscheidend ist. Neben Defense und Medizin ist das Rechtswesen einer der sensibelsten Bereiche eines Staates. Ein unabhängiges Rechtswesen ist auch Garant für den Rechtsstaat und damit indirekt auch für die Demokratie. Digitale Souveränität im Rechtswesen ist also unabdingbar.
KI kann im Rechtswesen Routineaufgaben automatisieren, Hilfestellung leisten, Arbeitsabläufe effizienter gestalten, nicht mehr und nicht weniger. Der Mensch bleibt gerade bei schwierigen Fällen zentral „in the loop“.
Andreas Nauerz:
Die gefährlichste Vorstellung ist aus unserer Sicht eine Welt, in der Europa seine digitale Souveränität verloren hat.
Wenn wir nicht wissen, auf welchen Trainingsdaten ein KI-Modell basiert, nach welchen Kriterien es kuratiert wird und wer es letztlich kontrolliert, dann bestimmen andere faktisch darüber, was als wahr oder unwahr, richtig oder falsch gilt. In einer solchen Konstellation sprechen wir über das perfekte Propaganda-Instrument. Denn KI kann in kürzester Zeit enorme Mengen an Content generieren, verstärken und skalieren.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage und der Entwicklungen in einzelnen Staaten ist das hochproblematisch. Wenn politische Einflussnahme auf Bildungsinhalte, Medien und öffentliche Diskurse zunimmt, wird die Kontrolle über KI-Systeme zur unmittelbaren Machtfrage. KI ist dann nicht mehr nur ein technologisches Werkzeug, sondern ein strategisches Instrument zur Steuerung von Wahrnehmung, Meinungen und gesellschaftlichen Debatten.
In wenigen Jahren werden Menschen den überwiegenden Teil ihrer Informationen nicht mehr über klassische Suchmaschinen, sondern direkt über KI-basierte Systeme beziehen. Es wird völlig normal sein, nicht mehr zu googeln, sondern unmittelbar ChatGPT, Gemini & Co. zu konsultieren. Damit verlagert sich jedoch die faktische Kontrolle darüber, welche Informationen wir erhalten, welche Narrative entstehen und was als wahr oder falsch gilt, auf diejenigen, die diese Modelle trainieren, betreiben und kontrollieren.
Genau deshalb sind kontrollierbare europäische KI-Lösungen kein Nice-to-Have, sondern ein Must-Have.

Und wohin entwickelt sich KI insgesamt? Wird sie alles verändern oder doch langsamer als gedacht?
Leif-Nissen Lundbæk:
Beides.
Der gesellschaftliche Wandel wird länger dauern, als manche glauben, aber er wird massiv sein.
KI beeinflusst unsere Sprache und damit unser Denken. Deshalb dürfen wir nicht sagen: „Wir haben das Rennen verloren, jetzt ist es egal.“
Europa muss eigene Modelle bauen, auch große. Der Einfluss auf Demokratie und Rechtsstaat ist zu groß, um sich abhängig zu machen.
Andreas Nauerz:
Die Verbreitung wird exponentiell verlaufen, aber mit vielen ethischen und gesellschaftlichen Fragen im Gepäck.
Und wir stehen gerade erst am Anfang.
Was viele aktuell unterschätzen: Wir erleben nicht nur einen Technologiesprung, sondern eine Demokratisierung der gesamten Technologielandschaft. KI wird die klassische Trennung zwischen „Experten“ und „Anwendern“ zunehmend auflösen. In wenigen Jahren werden wir komplexeste Systeme ohne technisches Spezialwissen allein über intuitive Sprach- und Dialogschnittstellen steuern können — egal ob einfache Geräte wie Backöfen oder Waschmaschinen, hochkomplexe IT-Systeme oder autonome Roboter.
Damit geht die nächste große Entwicklungsstufe einher, die bereits angesprochene Technologiekonvergenz. KI, Robotik, Automatisierung, Cloud und Edge wachsen zu einem einheitlichen Wirkraum zusammen. Wir werden Robotern in natürlicher Sprache sagen, was sie tun sollen — und sie werden verstehen und umsetzen. KI wird damit vom Analysewerkzeug zum operativen Steuerungszentrum physischer und digitaler Systeme.
Das wird ganze Wertschöpfungsketten verändern — schneller, fundamentaler und breiter als viele heute erwarten. Nicht schrittweise, sondern strukturell.
Clara Herdeanu: Das ist ein sehr treffendes Schlusswort. Lieber Andreas, lieber Leif, herzlichen Dank für das Gespräch und Euer Plädoyer für echt digitale europäische Souveränität!















